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Es scheint keine Grenzen zu geben. Edvard Munch (1863–1944) ist nicht nur einer der wichtigsten, sondern auch einer der produktivsten Künstler der Moderne. Mit mehr als 1750 Gemälden, rund 10 000 Zeichnungen, zahllosen Skizzenbüchern, rund 750 Druckgrafiken, 180 Fotografien, einigen Skulpturen und nicht zuletzt etwa 10 000 Seiten Text aus mehr als sieben Jahrzehnten erscheint sein Oeuvre wie ein in sich geschlossener Kontinent. Woran liegt das? Zum einen ist der Ausgangspunkt seiner Kunst sein eigenes Leben, zum anderen lässt er sich keinem Stil und keiner Bewegung der Moderne klar zuordnen. Unter Munchs zahlreichen undatierten Notizen findet sich der Satz: „Die Religion unserer Zeit – das heißt das Seelenleben unserer Zeit muss reflektiert werden.“ Es geht ihm nicht um die Auflösung der Form, sondern um die Auseinandersetzung mit zeitlosen Emotionen und Beziehungen zwischen Menschen. Elementare Gefühle und existenzielle Lebenssituationen sind vor Munch in der bildenden Kunst nie so direkt und authentisch zum Ausdruck gebracht worden. Dass dies in einer Zeit geschieht, in der man seine Gefühle zu beherrschen hatte und kaum über sie sprach, stärkt Munchs Bedeutung noch. Im Zentrum seines Schaffens stehen die Ängste, Unsicherheiten und Sehnsüchte des modernen Individuums, aber auch das große Staunen über die Schönheit und Tiefe der Natur in und um uns und die unbändige Lust, dieses Staunen in Kunst zu übersetzen. „Trotzdem habe ich oft das Gefühl“, so notiert der Künstler in einem Skizzenbuch aus den Jahren 1927–34, „diese existenzielle Angst haben zu müssen – sie ist notwendig – und dass ich nicht ohne sie leben will – Oft denke ich, dass auch Krankheit notwendig war – in Zeiten ohne Angst und Krankheit fühlte ich mich wie ein Schiff, das in starkem Wind segelt – aber ohne Ruder und fragte mich wohin? Wo strande ich?“
1907/08 notiert Munch in eines seiner stets für Gedanken und Motive bereitliegenden Skizzenbücher: „Ein Kunstwerk kommt nur aus dem Inneren des Menschen. Kunst ist die Form des Bildes, die zustande kommt in des Menschen Nerven – Herzen – Gehirn – Augen.“ „Natur ist das ewige große Reich, aus dem die Kunst ihre Nahrung erhält“, stellt Munch in einem Brief an Eberhard Grisebach von 1932 fest und bezeichnet seine Kunst als „ein Selbstbekenntnis. Darin versuche ich, mein Verhältnis zur Welt zu klären. Es ist sozusagen eine Form des Egoismus. Dennoch habe ich gleichzeitig immer geglaubt und gefühlt, dass meine Kunst auch anderen Menschen bei ihrer Suche nach Wahrheit helfen kann.“
Munch lässt uns die Spannungen und Verbindungen zwischen den Geschlechtern, zwischen Welt und Universum oder Lust und Schmerz fühlen. Wir werden eingeladen, einzutauchen in ein Werk, das uns in seiner Ehrlichkeit, Authentizität, aber auch in seiner Experimentierfreudigkeit und Radikalität immer wieder überrascht, verblüfft und mit Fragen konfrontiert. Wir fühlen, dass seine Kunst uns angeht und uns etwas sagt – mal laut, mal ganz leise, aber aus einer Anschauungsweise heraus, die mit denselben Träumen, Gedanken und Ängsten zu tun hat, die den Menschen auch heute bewegen. Munchs Kunst hat nicht zuletzt dazu beigetragen, Gefühle als subjektiven Ausdruck in der Kunst als selbstverständlich zu betrachten. Dabei rekurriert er immer wieder auf existenzielle Schlüsselerlebnisse aus dem eigenen Leben, die er in beispielloser Intensität auf ein universelles Niveau hebt, und legt seelische Empfindungen schonungslos offen.
Munch ist ein Meister der Selbstinszenierung, der nicht nur in seinen Selbstporträts, sondern auch in Texten und Selfies Mythen und Rollen lanciert, die genau kalkuliert sind. Sein Hang zur Selbstinszenierung macht es schwierig, den Menschen Munch zu beschreiben. Lassen seine privaten Aufzeichnungen neben schonungsloser Offenheit immer wieder Selbstironie durchblicken, so finden sich in seinen Porträtfotografien niemals ein Lachen, Zwinkern oder auch nur eine spontane Geste. Stets lässt er sich in einer bisweilen zur Pose erstarrten repräsentativen Haltung und mit ernstem, oft in die Ferne schweifendem Blick ablichten. Ein Anflug von Trotz ist die einzige Blöße, die er sich in den Fotos gibt, die ihn außerhalb der Familie nie in Gesellschaft zeigen. Diese Haltung muss auch als Schutz gegen eine als beängstigend empfundene Außenwelt verstanden werden.
Diffuse oder konkrete Ängste vor Krankheit, vor den Erwartungen an die Rolle des Künstlers und an die als Mann gegenüber der Frau, Angst vor vermeintlichen Konkurrenten sowie generell vor Enge und festen Strukturen scheinen stete Begleiter des Künstlers gewesen zu sein. Doch münden diese nie in eine Suche nach Schutz und Geborgenheit – im Gegenteil. In einer undatierten Notiz schreibt er: „[…] ich musste umherwandern, um Ruhe zu finden.“ Ängste scheinen ein wichtiger Antrieb für seine Kunst zu sein, in der er sie auf ein allgemeines Niveau jenseits seiner Individualität hebt und in zeitlose Kunst überführt.