• herausgegeben von Astrid Reuter
  • Beiträge von Astrid Reuter, Barbara Bauer, Alexander Eiling, Peter Fuhring, Melissa Hyde, Oliver Jehle, Françoise Joulie, Hans Plechinski, Aileen Ribeiro, Dorit Schäfer, Martin Schieder, Perrin Stein, Christoph Martin Vogtherr, Kirsten Voigt
  • 368 Seiten
  • mit 294 farbigen Abb.
  • 30,0 cm x 24,0 cm
  • Softcover
  • Deutsch
  • Erscheinungsdatum: 28.11.2020
  • ISBN 978-3-86832-581-2


Beschreibung

Erotische Kabinettstückchen, idealisierte Schäferszenen und sinnliche mythologische Darstellungen – François Boucher (1703–1770) war ein Meister seines Fachs und traf mit seiner Kunst den dekorativen Geschmack der höfischen Gesellschaft des französischen und europäischen Rokoko. Als Direktor der königlichen Akademie, Hofmaler Ludwigs XV., Günstling der Madame Pompadour sowie als überaus produktiver Zeichner und Kupferstecher war sein Einfluss auf den Kunstgeschmack der Zeit enorm. Anhand seines vielfältigen grafischen Werks sowie von Gemälden und Ölstudien geht diese üppig bebilderte Publikation dem faszinierenden „Phänomen Boucher“ mit großem Kenntnisreichtum auf den Grund.

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Boucher und die Mode

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Boucher und die Mode

Von Aileen Ribeiro

 

Die französische Mode entwickelte sich seit den Tagen Ludwigs XIV. zu einem der wesentlichen Bestandteile von Leben und Kunst. Gegen Mitte des 18. Jahrhunderts wurde sie in ganz Europa bewundert und nachgeahmt und war Gegenstand endloser Diskussionen. Ihr Beitrag zur Wirtschaft, ihre Funktion in der Gesellschaft oder die Rolle von Frauen als Konsumentinnen bildeten wichtige Themen in den Debatten der Aufklärung. Die Elite wurde zunehmend über die Mode statt über den Status definiert, eine neue Art der Inszenierung, eine „Kultur der äußeren Erscheinung“,[1] war die vorherrschende Kraft der Epoche; und der Dichter Stéphane Mallarmé (1842-1898) bezeichnete die Mode gar als „déesse des apparences“. Aufgrund ihrer nun weitaus größeren öffentlichen Rolle schürte sie – in Verbindung mit der ihr oftmals vorgeworfenen Oberflächlichkeit, Vergänglichkeit und Eitelkeit – auch Ängste vor einer Verweiblichung der Gesellschaft. Dieses Thema gewann mit dem Wachstum der Modeindustrie in Paris und dem neuen Gewicht der Stimme von Frauen in der sich allmählich herausbildenden Modepresse zunehmend an Bedeutung.

Boucher war ein Meister in der Darstellung weiblicher Räume, in denen Mode und äußere Erscheinung regierten. Das Gemälde Die Modistin (Der Morgen) (Kat. *S05) zeigt den Besuch einer neuen Art von Modespezialistin für die Zusammenstellung von Accessoires und Posamenten – in der Hand hält sie ein zierliches Häubchen, ganz ähnlich jenem, das sie selbst trägt, vor ihr steht eine Schachtel voller Bänder, der Zollstock ist griffbereit. Die Kundin sitzt an ihrem Ankleidetisch, die Toilette ist beinahe vollendet, nur der Haarpuder fehlt noch zur Vervollkommnung. Bouchers Gemälde Die Morgentoilette (Kat. *M01) schildert ebenfalls den Besuch einer Modistin bei ihrer Kundin und ist eine nahezu überwältigende Darstellung von Weiblichkeit. Die Kundin, noch in einen Leinenüberwurf gehüllt, der ihr Kleid vor dem Puder auf der modischen, eng gelockten tête de mouton-Frisur schützt, ist im Begriff, ihren weißen Strumpf mit einem rosa Seidenband zu binden. Sie ist aufgrund ihrer Pose wohl als Dame der Halbwelt zu identifizieren. Ihr meisterhaft geschminktes Gesicht weist am Auge ein kleines schwarzes Schönheitspflaster vom Typ der assassine auf, was sie als „Unwiderstehliche“ kennzeichnet, der ein lebhaftes und erotisches Flair anhaftet.[2] Die Modistin, auch sie mit einem Schönheitspflästerchen am Auge (Frauen wie sie waren sowohl für ihren Modegeschmack als auch ihre verführerische Art berühmt), trägt das wohl beliebteste Kleid des 18. Jahrhunderts, die robe à la française (oder sacque), die sich durch weite, von der Schulterpartie über den Rücken herabfallende Falten auszeichnet. Hier sehen wir eine sacque retroussée dans les poches, ein seitlich gerafftes Kleid, das die Aufmerksamkeit auf die verspielten Schwünge des Rokoko lenkt. In einer früheren Ausformung – der robe volante – verfügte das Kleid über lose belassene Falten an der Rückenpartie, so wie es Antoine Watteau (1684–1721) vor allem in seinen Zeichnungen in vollendeter Weise wiedergab.

Boucher hingegen ist weniger vertraut mit der losen sacque, was vor allem in seinen Zeichnungen sitzender Frauen der 1730er-Jahre zum Ausdruck kommt (Kat. *S06, *S08). Seine Vorliebe galt eher den dekorativen Aspekten, der Kleidung mit einem Sinn für Theatralik, wie in seiner lebhaften Zeichnung Studie des Éraste, einen Brief zerreißend deutlich wird (Kat. *L11). Dort erscheint der verärgerte Liebhaber in eleganter, geradezu ballettartiger Pose mit weit ausgestellten Rockschößen, die eher an den Reifrock der Damen erinnern, mit einer gelockten Perücke, die hinten mit einer großen Schleife gebunden ist, sowie einem Hut unter dem Arm. Gefallen findet Boucher auch an bewegter Kleidung, wie zum Beispiel der informellen kurzen, über einem Volantrock getragenen Jacke der sacque in der Zeichnung einer stehenden Frau (Kat. *P08) und ähnlich in Das verzogene Kind (Kat. *K11). In den 1740er-Jahren war die robe à la française äußerst klar strukturiert, die Stofffülle am Rücken in eine doppelte Kastenfalte gelegt, und von den Schultern bis zum Saum fasste Rüschenzier das zu einem passenden Rock getragene Oberteil mit weitem Ausschnitt ein. Die eng anliegende Schnürbrust wurde verdeckt durch einen Stecker, ein länglich-dreieckiges, oft aufwendig mit mehreren Reihen von Seidenschleifen verziertes Stück Seidenstoff. Diese Beschreibung entspricht dem Kleid auf Bouchers 1756 entstandenem Bildnis der Madame de Pompadour (1721–1764, Kat. *M02) – meergrüner Taft mit gewundenen Girlanden aus rosa Seidenrosen und Spitze, dazu ein Stecker mit einer échelle großer rosafarbener Schleifen – eine Ausstattung, welche die gern zitierte Kritik von Friedrich Melchior Grimm (1723–1807) nach sich zog, der die Überfülle an Zierrat, Bommeln und Firlefanz im Porträt rügte. Die Pompadour trägt einen kleinen floralen Haarschmuck, den nach ihr benannten Pompon, und gestreifte Seidenpantoletten, deren hoher, sich beinahe unter dem Fußgewölbe befindlicher Absatz den Fuß schmaler wirken lässt – und das Gehen erschwerte. In seiner Übertriebenheit und betonten Theatralik erscheint das Kleid fast wie eine Parodie auf das Rokoko. Es wurde von Madame de Pompadour wohl anlässlich ihrer Ernennung zur Dame du palais der französischen Königin in Auftrag gegeben – möglicherweise mit gestalterischen Einfällen von Boucher selbst. Eine höfische Prachtrobe wäre unangemessen gewesen, zudem auch wenig schmeichelhaft und eher steif, wohingegen die robe à la française für die meisten Angelegenheiten bei Hofe unerlässlich war. Kleider dieses Typs finden sich an prominenter Stelle im Nachlassinventar der Marquise, und eines ihrer letzten Porträts, gemalt 1763/64 von François-Hubert Drouais (1727–1775),[3] zeigt sie in einem solchen Kleid aus meisterhaft wiedergegebener chinesischer Seide, mit wohl weitaus lebensechteren Gesichtszügen als auf den Bildnissen von Bouchers Hand.

Die Vorstellung einer femme savante wird in Bouchers berühmtem Porträt fast begraben von Kleid und Erscheinung, von Koketterie und Künstlichkeit. Maurice-Quentin de La Tour (1704–1788) hingegen gibt das Sujet der gelehrten Frau in seinem Bildnis der Pompadour[4] (Abb. 1) deutlicher wieder, indem er sie umgeben von literarischen wie auch philosophischen Büchern, einer Musikpartitur und einer Mappe mit Stichen zeigt. Die Pompadour ist mit unbedecktem Kopf, ohne Schmuck dargestellt, und obschon ihr Kleid aus kostbarem Lyoner Seidenbrokat mit einem Muster aus Palmwedeln und Blumen besteht, dominiert es das Porträt nicht.
Solche gemusterten Seidenstoffe waren zu jener Zeit sehr beliebt und erscheinen etwa auch in Jean-Étienne Liotards (1702–1789) Bildnis der Maria Josefa von Sachsen, Dauphine von Frankreich (1731–1767), die eine blau und rosa broschierte sacque aus Satin und ein Halsband aus demselben Seidenstoff trägt (Abb. 2). Ihr Kleid, die aufwendige Frisur mit dem kleinen blauen Federpompon sowie ihr Make-up sind modische, ja in gewisser Weise Werke der angewandten Kunst, doch wohnt ihrer Erscheinung eine Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit inne – „Man soll niemals malen, was man nicht sieht“[5] –, die Bouchers Bildnis der Madame de Pompadour fehlt. Boucher war in erster Linie stylist, und wenngleich er die Pompadour nicht im selben Maße mit den Augen eines Damenschneiders betrachtete, wie es etwa Franz Xaver Winterhalter (1805–1873) ein Jahrhundert später bei seinen Modellen der Oberschicht tat, so bediente er sich doch der Mode, um Botschaften über die unanfechtbare Stellung der königlichen Favoritin zu formulieren.

Boucher war sich bewusst, dass einfarbige Kleider größere kreative Gestaltungsmöglichkeiten bieten als solche aus gemustertem Stoff. Sie konnten mit verspielten plastischen Applikationen geschmückt werden und wirkten auch mit Pelzbesatz gut, wie etwa der Winter der in der Frick Collection befindlichen Folge der Vier Jahreszeiten zeigt.[6] Der Künstler nutzte seine Erfahrungen als Ausstatter des Privattheaters der Madame de Pompadour und gestaltete Kleider aus ungemusterten, glänzenden Seidenstoffen, in vereinfachten, eleganten Schnitten, die – angeregt von der Vorliebe für die Pastoralen in der Kunst – als poetisch und zeitlos gelten konnten. Dieser Kleidertyp mit gebauschten Ärmeln und viereckigem Ausschnitt (getragen mit einer seidenen Halskrause) wurde bisweilen auch als „spanisch“ bezeichnet, so etwa in Bouchers Sitzender Frau in spanischem Kostüm (Abb. 3) – in Frankreich verwies dieser Begriff auf den Einfluss der Mode des frühen 17. Jahrhunderts (in England war es „Vandyke“, benannt nach Anthonis van Dyck), der einen Höhepunkt mit den Werken Jean-Honoré Fragonards (1732–1806) erreichte.[7] Diese Vermischung einer vage historischen Vergangenheit mit einem arkadischen Traum inspirierte eine Reihe von Porträts der Madame de Pompadour, darunter auch jenes der Marquise im silbrig glänzenden Stoff (um 1750),[8] und weitere Darstellungen eleganter Modelle wie die in weißen Satin gekleidete Madame Bergeret, mit einem Strohhut mit blauen Schleifen als modisch ländlichem Accessoire in der Hand (Abb. 4).[9]

Neben ihrer politischen Bedeutung sind Bouchers Gemälde der Madame de Pompadour sorgfältig durchdachte Visionen von Ideal und Fantasie, die im letzten und raffiniertesten Porträt seines berühmten Modells von 1759 zu einer Synthese fanden (Abb. 5). Verweise auf die intellektuellen Interessen der Marquise sind verschwunden. Sie werden ersetzt durch Anspielungen auf Liebe (Rosen und Orangenblüten), Treue (ihr Hündchen Inès), Loyalität und liebende Freundschaft zum König (die Skulpturengruppe Liebe und Freundschaft von Jean-Baptiste Pigalle [1714–1785]). Denis Diderot (1713–1784) vermeinte – recht unwirsch –, in Bouchers Porträts „stets das Rouge, die Schönheitspflaster, die Pompons und all den Firlefanz der Toilette“[10] zu sehen. Auf das Bildnis der Madame de Pompadour bei ihrer Toilette (Kat. *W01, Abb. *1) traf diese Bemerkung mit Sicherheit zu, hier aber ist all das zurückgenommen, nur angedeutet als notwendiger Aspekt ihrer Erscheinung. Das Kleid, das perfekteste, das Boucher je malte, besteht aus pfirsichfarbenem Taft mit geschwungenen Volants und geklöppelter Seidenspitze – ebenso ein Kunstwerk wie die Dargestellte.

 

Auszug aus: François Boucher. Künstler des Rokoko, hrsg. von Astrid Reuter , Köln 2020, S. 174-177.

[1] Roche 1989.
[2] Le Camus 1754, S. 152.
[3] London, The National Gallery, Inv. NG6440.
[4] Ausgestellt im Salon von 1755, eine Entstehung Anfang der 1750er-Jahre erscheint plausibler.
[5] „On ne doit jamais peindre ce que l’on ne voit pas.“ Liotard 1781 (1945), S. 82.
[6] New York, The Frick Collection, Inv. 1916.1.15.
[7] Insbesondere in seiner Folge Der Fortschritt der Liebe, darin Das Rendezvous, 1771–73, New York, The Frick Collection, Inv. 1915.1.46.
[8] Paris, Musée du Louvre, Inv. R.F. 2142.
[9] Die Datierung ist umstritten. Es wurde eine Entstehung um 1766 vorgeschlagen, aufgrund des Kleides halte ich jedoch eine frühere Datierung um 1751 für wahrscheinlicher.
[10] „[…] toujours le rouge, les mouches, les pompons et toutes les fanfioles de la toilette“. Diderot 1759–81 (1957–67), Bd. 2, S. 76 (Salon 1765).

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